Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Samstag, 28. Januar 2017

III. Recht ist‘s und billig mein Flehen: Treffen mit Corinna - Leseprobe aus Buch I "Einzig Corinna"

Als Textprobe hier ein Auszug aus dem dritten Kapitel des ersten Bandes „Die Liebesleiden des jungen Ovids – Einzig Corinna" (hier geht es zumersten und zweiten Kapitel).
Über Anregungen und Kommentare würde ich mich freuen!

Kapitel 3:Recht ist‘s und billig mein Flehen: Treffen mit Corinna
Naso spähte zur Sonnenuhr. Die neunte Stunde des Tages hatte bereits begonnen, kein Zweifel.
»Immer noch nicht!«
Er war pünktlich gewesen: Die achte Stunde. Früher Nachmittag. Siebzehnter Tag vor den Kalenden des November.
Überpünktlich sogar. Und es war auch der richtige Ort:

Dort wo der Nymphenbrunnen beim Marmortempel der Venus
            weit durch die Lüfte die Gischt spritzt mit des Rohrdruckes Kraft.

cb ©: Stefan Gerlinger CC-BY 4.0 de
Hohe Fontänen schossen lebenslustig aus den Wasserspeiern gen Himmel, zerstoben in unzähligen Tröpfchen, sanken in nebligen Schwaden herab und flossen schäumend über den Abfluss. Die marmorne Figurengruppe glänzte golden in der Sonne. Einzig Neptun spie seine Fluten ein wenig missmutig aus. Ob es ihn störte, dass sein wallender Bart etwas Moos angesetzt hatte?
Dennoch: Ein sehr lieblicher Ort.
Nur Corinna fehlte.
Wo blieb sie nur? Schließlich hatte sie selbst eben diese Verse aus den Ratschlägen des Propertius stehen lassen, als sie Ort, Treffpunkt und Zeit in Nasos Wachstäfelchen geritzt hatte.
Eine Verabredung für den nächsten Tag. Nicht mehr und nicht weniger.
So lehnte Naso lässig am Rande des Brunnens und hielt Ausschau.
Das heißt er wollte lässig erscheinen, doch je länger er wartete, desto mehr verkrampfte er sich und desto unsicherer wurde er.
»Und wenn sie doch nicht kommt? Habe ich mir das Ganze am Ende nur eingebildet? Nein, ich bin doch nicht verrückt! Die Frau war aus Fleisch und Blut, So etwas Schönes kann man sich gar nicht selbst ausdenken. Aber… vielleicht war ihr Interesse nicht echt? Ich bin einfach zu nervös…! Oh Venus, bitte steh mir bei!«
Naso wartete auf ein Zeichen, doch es kam keines.
Die Torflügel des Tempels blieben so fest verschlossen, wie zuvor.
»Was habe ich mir auch gedacht – dass sie auf einmal von selbst aufspringen, wie das Türflügelwunder in der Aeneis des Vergilius?«
[…]
Er schlenderte zu den Stufen des Tempels. Er hatte gehofft, dass vielleicht ein Priester hineingehen würde und er einen Blick erhaschen könnte. Gerade mal lang genug, um ein Gebet hinterher zu werfen. Doch es kam niemand.
Niemand, der in den Tempel ging.
Nur ein paar Mädchen und Frauen stellten sich zum Wasserholen an. Sie füllten ihre Gefäße am Hahn, gleich neben den Wasserspielen. Ein eigener Wasseranschluss, das war schon etwas, was Naso in seiner Kammer vermisste…
Allmählich lichtete sich die Schlange wieder. Nur ein paar Kinder spielten am Überlauf des Brunnens. Sie ließen kleine Spielzeugboote in der Wasserrinne um die Wette schwimmen und fischten sie wieder heraus, bevor sie durch das Gitter in die Kanalisation gespült werden konnten. Außer den Kindern und den Wasserholerinnen war der Platz nahezu leer.
Corinna war nirgends zu erblicken.
Naso hätte etwas draußen am Altar opfern können, doch er hatte nichts dabei, was sich als Opfergabe eignete.
Immer noch den Tempel fest im Blick, schlenderte er wieder zum Brunnen zurück.
„Geh ruhig nach oben!“, rief ihm eine alte Frau zu, die am Brunnen Wasser holte. Sie lächelte ihn aus ihren Zahnlücken an. Ihr schütteres weißes Haar trug sie sorgsam zu einem Knoten zusammengebunden. Sie trug die vertrauenser­weckende Stola einer ehrbaren Frau. „Decimusss hat Dienssst, er lässt die Türe den ganzzzen Tag auf, fallsss einer ein Votivgeschenk darbringen will“, zischelte sie. „Der nimmt auch Münzzzen, zum Wohle der Göttin.“
Naso dankte der Matrone mit einem freundlichen Wink.
„Danke, aber ich warte hier auf eine Freundin.“
„Sssieht man, Junge. Blumen, wie nett! Hat mein Quintusss mir noch nie gemacht… Du kannssst beruhigt reingehen. Wenn ich mit dem Wasssserholen fertig bin, werde ich warten, bis du wieder draußssen bissst. Sobald eine junge Dame herkommt, werde ich ihr ausssrichten, dassss du noch kurz bei Venusss weilssst.“ Sie lächelte über ihr faltiges Gesicht. „Junge Liebe, sssieht man ssso ssselten! Da helfe ich gerne…“
Naso zögerte, dann rannte er die Stufen empor und klopfte vorsichtig mit dem Fuß an das Tempeltor.
Knarrend öffnete sich der Wächtereinlass des linken Torflügels.
„Ja bitte, was wünschst du von der Herrin Cytherea?“
„Eine Weihegabe. Ein kleines Opfer, um Venus gnädig zu stimmen.“
„Komm!“
Der Priester führte ihn ins Tempelinnere.
Mühsam gewöhnten sich Nasos Augen an das gemischte Dämmerlicht. Nur vereinzelte Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg von den schmalen Einlässen herunter. Es gab nur wenige Fenster, weit oben, nahe dem Dach. Staubkörnchen tanzten in den Lichtbahnen, wie Nachtschwärmer um eine helle Kerze.
»Warum man wohl einen Tempel nie beleuchten darf, keine Öllampen und nicht einmal Kerzen?«, fragte sich Naso. »Wenn ich ein Gott wäre, ich würde gerne allen zeigen, wie schön mein Allerheiligstes aussieht…«
An den Wänden spiegelte sich ein sonderbarer Glanz, eine Art durchbrochenes Glimmen.
Naso kniff die Augen zusammen.
Zahlreiche Votivgaben hingen an den Wänden. ʺFür die Erfüllung der Liebeʺ, stand auf einem großen silbernen Herzen. ʺNach der Nacht meiner Träumeʺ, auf einem sehr langgestreckten Phallus. Anscheinend hatte Venus halb Rom geholfen, wenn immer jemand Venus ein Weihegeschenk gelobt hatte, schien sie im Gegenzug alle Wünsche erfüllt zu haben, so viele kleine Plaketten hingen an den Wänden. Im Halbdunkel des Tempels ging ein mystischer Schimmer von ihnen aus, fast so als seien sie lebendig.
Selbst die Weihwasserspender schienen sich zu bewegen, wenn man an ihnen vorbeischritt. In den kupfernen Aufsätzen reflektierten Lichtstrahlen oder wurden von ihm und dem Priester verdeckt. Kleine Täfelchen gaben den Betrag an, mit welchen Münzen sie gefüttert werden mussten. Geld gegen Segen, Weihegaben gegen Wunscherfüllung. Alles genauestens geregelt. Bei Nichterfüllung - Rückerstattung der Ausgaben.

[…]

Als Naso wieder nach draußen trat, stand die Alte neben ihren gefüllten Amphoren. Sie zeigte ein halb zahnloses Lächeln. Auf irgendeine Art schien sie verändert zu sein, doch Naso konnte nicht sagen, auf welche.
»Aber immerhin, sie lächelt. Gut, ich habe Corinna also noch nicht verpasst.«
Naso winkte ihr der Alten einen freundlichen Dank zu, die Matrone winkte ihn jedoch zu sich heran. Sie hielt ein Schreibtäfelchen in Händen.
„O nein! Sie war doch schon da… bei Venus!“
„Nein, nein, keine Sssorge, es war nur ein junges Sssklavenmädchen. Nape hießss sssie. Komm, hilf mir mein Wasssser tragen und ich erzähle dir genau, wie esss war.“
Sie wedelte kurz mit dem Schreibtäfelchen und steckte es wieder ein.
„Unsssereinsss hat keine Sssklaven… und du bist ja noch jung – jung und verliebt. Da kann man einer alten Witwe noch ein wenig Tragen helfen, oder?“
Sie sah ihn herausfordernd an.
Naso erwiderte den Blick. Ein Schauer ließ ihm über den Rücken.
»Das gibt’s doch nicht! Täusche ich mich, oder hat sie doppelte Pupillen?! Ist das wirklich noch dieselbe…?«
Die Alte blinzelte. Einen Moment dachte Naso, er sähe längliche Pupillen in einem gelben Auge. Doch ebenso schnell verschwand die Vision wieder. Zurück blieb eine freundlich lächelnde Matrone mit leichten Triefaugen und langen dürren Fingern.
»Nein, muss wohl doch die Einbildung sein…«
Dennoch, irgendetwas an dieser Frau war nicht ganz geheuer. Sie schien überhaupt nicht hierher zu passen. Nur warum…? Aber was blieb ihm schon anderes übrig!
„Gut, ich komme mit dir… die sind aber schwer! Randvoll hm? So, jetzt erzähl mir, wie war das genau? Ein Sklavenmädchen, Nape, hieß sie also...?“



Naso trug der Alten die Amphoren bis ins Miethaus. Kaum hatte er ihr Stockwerk erreicht, riss er das Schreibtäfelchen auf:

Habe dich wirklich gern. Aber es geht nicht. Nicht heute, leider... Vielleicht ein andermal. Wenn Venus will, werden wir uns wieder sehen.
Leb wohl!

Das Wachstäfelchen fiel aus seiner Hand, schlug am Boden auf und hüpfte ein paar Treppenstufen hinunter.
Naso verlor jeglichen Halt.
Er sank zu Boden und schlug die Hände vor sein Gesicht.
Die Alte beugte sich zu ihm hinunter und kicherte.
„Junger Mann, wer wird denn gleich weinen?“
Naso konnte sich einfach nicht zurückhalten. Ein Strom von Tränen brach über sein Antlitz.
„Sie…. sie war“, schluchzte er unter Tränen“, sie war vielleicht die große, die große Liebe. Und … werde sie niemals wiedersehen in Roms großen Massen!“
Er wischte sich mit dem Handrücken über sein durchnässtes Gesicht. Er beruhigte sich ein wenig und sah aus nassen Augen zur Matrone empor.
„Wie soll ich sie in einer Stadt wie Rom jemals wiederfinden?“
„Ganzzz einfach, ich weißss, wo Nape wohnt – und ihre Herrin.“
„Was?“
„Eine alte Ssschülerin von mir, oder bessser, meine Kleine, mein Kind… Natürlich weißss ich, wo sssie wohnt. Beruhige dich. Aber bevor sssie sssich mit dir einlässsst, wollte sie wisssen, wie ernssst es dir mit ihr issst…“
Naso schoss in die Höhe.
„Raus mit der Sprache: Wo! Wo wohnt sie, sag es mir, bitte!“
„Immer langsssam. Ich weißss noch gar nicht, ob Du esss wert bissst…“
Sie musterte ihn gierig von oben bis unten. „Ich sehe den goldenen Ring. Ein Ritter. Aber sssonst nicht viel von Wert – und auch keine Muskeln. Warssst du am Ende nie in der Armee? Kein Training, keine Beute, keine Karriere?“
Sie zog die Augenbrauen nach oben und schob ihren Kopf so nah an Naso heran, dass er ihren weinhaltigen Atem roch. „Bisssst du überhaupt vermögend genügend, um ihr die nötige Aufmerksssamkeit zukommen zu lasssen – genug Geld für Gessschenke? Bissst du esss wirklich wert?“
Naso, zuckte zusammen, als sie so mit ihrer langen Zunge durch ihre nicht mehr vorhandenen Schneidezähne fuhr. Er spürte, wie ihm alle Nackenhaare einzeln zu Berge standen. Vorne an der Zungenspitze fehlte ein Stück – fast so, als wäre sie gespalten. Naso schauderte. Er glaubte fast, keinen Menschen mehr vor sich zu haben, sondern eine Schlange, ganz als sei den alten Mythen entsprungen.
»Das ist keine Matrone«, schoss es Naso durch den Kopf. »Das muss eine Hetärenmutter sein, eine verarmte Zuhälterin am Ende – oder… eine Hexe?«
„Doch, ich besitze viel Geld, ein Vermögen, das kann ich dir zeigen“, log er und schüttelte den Lederbeutel, den ihm sein Vater dagelassen hatte. Vor dem Treffen mit Corinna hatte er ihn vorsichtshalber mit all seinen verbliebenen Münzen aufgefüllt.
„Nun, wenn dasss ssso ist…“
Sie krümmte ihre langen dünnen Finger zu einer hohlen Hand. Sie war von merkwürdigen Schuppen überseht.
Naso ließ ein paar Sesterzen hineinfallen.
Die Frau grunzte kehlig.
„Bitte, wo wohnt sie? Nun sag, die Adresse, wo wohnt nun Corinna?“, flehte er.
Die Alte öffnete ihren Haarknoten und fuhr sich mit ihrer Zunge über die Lippen.
„Nicht ssso eilig! Heute hat sssie wirklich keine Zzzeit mehr. Aber wenn du hereinkommen willssst, ich kann mich gerne um dich kümmern. Dann kann ich gleich sssehen, ob du esss auch in anderer Hinsssicht wert bissst…“
Mit Grausen wich Naso zurück.
„Ssselbst Sssschuld, mein Kleiner. Aber du verpassst etwassss, dasss issst sssicher…“
Sie ließ ihre Zunge über ihre restlichen Zähne tänzeln, dann zog sie ein weiteres Täfelchen hervor.
„Hier, die Wegbessschreibung. Aber lasss ihr zuerst eine Nachricht zukommen, bevor du ssselbst hingessst oder sssie vor die Wahl ssstellssst. Ssschreib ihr etwas über dein Vermögen! Vielleicht erhört sssie dann dein Flehen…“
Naso riss ihr das Wachstäfelchen aus der Hand und rannte die Treppe hinunter, so schnell ihn seine Beine trugen. Er sah sich nicht einmal mehr um.
„Einen schönen Grußss von ihrem Ziehmütterchen Dipsssasss!“, zischte sie ihm hinterher und brach in ein schreckliches Gelächter aus.



Erst auf dem Esquilin kam Naso zitternd zum Stehen.
»Dipsas – in der Tat! Einen treffenderen Namen könnte man auf dem Erdkreis nicht finden: diy£j, die Griechennatter… unglaublicher Durst, wird man gebissen. Daher wohl der Name… Und durstig, das ist sie auch, das riecht man noch auf eine Meile Entfernung! Nur nicht nach Wasser… Eine Hexe, ganz sicher… beim Hades und was für eine!«
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»So eine habe ich noch nie gesehen… sicher kennt sie die Zaubersprüche der Medea aus Kolchis – allerschwärzeste Magie! Die kann gewiss mit fremden Federn durch die Nacht fliegen und den Mond an den Hörnern herabziehen, wenn nichts Schlimmeres... außer - sie ist zu betrunken dafür… Bacchus sei Dank!«
Er atmete tief durch.
Es wurde spät. In der Ferne stachen die Mietshäuser der Subura durch den nebligen Dunst. Von den schimmernden Tempeln mit ihren bunt bemalten Säulen und Giebelfresken auf den Hügeln war kaum noch etwas zu sehen, auch keine funkelnden Statuen mehr.
Dafür war hier der richtige Ort.
Vorausgesetzt die Wegbeschreibung war korrekt.
Naso betrachtete das Eckgrundstück vor ihm. So ein kleines Häuschen hatte er nicht erwartet. Äußerst selten in Rom: kein Peristyl, es reichte noch nicht einmal zu einem kleinen Atriumhaus. Oder war es eine gepflegte Ruine, der Rest eines alten Atriumhäuschens, lediglich eine stehengebliebene Seite von ursprünglich vieren? Könnte sein, nur die Rückseite lehnte sich an das Nachbarhaus.
Naso suchte es mit den Augen nach einem Eingang ab. Zur Seitengasse hin wiesen die anschließende Mauer und die Schmalseite des Häuschens keine Tür auf. Viel zu eng auch… Zur Straße und zum Nachbargrundstück rechter Hand war es von einer mannshohen Mauer umgeben, über den sich die Zweige eines Feigenbaumes und einer Pinie empor­schwangen. Groß konnte der Garten unmöglich sein, aber Bäume, bis über die Mauer wucherndes Efeu und wilder Wein ließen einen idyllischen Eindruck vermuten.
Versteckt hinter einem Bogen Rosenzweige fand Naso schließlich ein kleines Tor.
Er pochte höflich mit seinem Fuß dagegen.
„Seid gegrüßt! Ist das hier das Haus der Corinna?“
Eine Kette rasselte leise.
„Wer will das wissen?“, grunzte eine tiefe Stimme. „Verschwinde!“ Die Stimme wies einen starken Akzent auf.
»Ein Syrer? Dann eben mit universaler Sprache…«
Naso nahm zwei Kupfermünzen aus seiner Börse. Klimpernd rollten sie unter dem Tor hindurch
Ein tiefes Grunzen ließ ihn erneut in seinen Lederbeutel greifen.
Diesmal kamen zwei Asse gerollt.
„Nun… Ja, kann schon sein. Trotzdem, keine Besuche heute!“
Klirrend wechselte eine Sesterze nach drinnen.
„Hör zu, ich darf gerade wirklich niemanden hereinlassen. Aber wenn ich etwas ausrichten soll… später, sobald sie allein ist, meine ich…“
„Kannst du ihr auch etwas geben?“
„Kommt darauf an.“
„Bloß ein Schreibtäfelchen.“
Noch eine Sesterze kam gerollt.
„Gut. Schieb es unten durch oder wirf es über die Mauer. Ganz wie du willst, aber vorsichtig – und leise!“
„Es ist noch nicht fertig, den Inhalt meine ich. Warte bitte kurz…“
Auf der anderen Seite klirrte es metallisch.
„Keine Angst, ich laufe nicht weg. Jetzt nicht mehr…“
Es seufzte traurig.
Naso lehnte sich an das Tor und begann zu schreiben. »Besser nicht mit einer Lüge anfangen – nichts über mein ʺVermögenʺ also, oder wenigstens keine Übertreibung. Aber wie kann ich mich positiv darstellen? Vielleicht als ein typischer Ehrenmann aus den Landstädten, munizipaler Adel, so wie es Cicero an Quinctius und Naevius lobte? Die gute alte Sparsamkeit, Genügsamkeit und unverdorbenen Sitten vom Lande? Hm… zu tröge… Aber wenn ich es dann noch ein wenig mit Propertius mische… drittes Buch, zweite Elegie? Sie scheint recht belesen, kennt die Elegiker. Vielleicht sogar ein paar Griechen? Also noch ein Hauch von hellenistischem Flair dazu. Ein paar Anspielungen mehr sind sicher nicht verkehrt… Hmja, das wäre einen Versuch wert…«

Nimm mich nur auf, denn ich will über lange Jahre Dir dienen,
            Nimm mich, der ich nur treu lieben gelernt, bei Dir auf.
Wenn mich auch nicht alte Namen an Ahnen mit Wert mich empfehlen
            können (ich bin nur ein Sohn einfachen Rittergeschlechts)
und nicht von zahllosen Pflügen mein Feld ständig umgepflügt wird, so
            führen die Eltern doch sparsam, sorgfältig immer das Haus.
Aber Apoll und neun Musen und Bacchus, die sprechen für mich,
            Amor nicht minder (der Gott machte mich Dir zum Geschenk)
und meine Treue -von niemand besiegt- und mein Leben,
            Schamgefühl, Einfachheit, Scheu, werben ganz offen für mich!

[…]
[Naso wird am Ende doch noch von Corina kontaktiert. Es kommt ersten Treffen…]

„Lass es uns langsam angehen. Ich glaube, wir könnten da etwas Besonderes haben. Mach es nicht kaputt, indem du es übereilst...“
Sie nahm seinen Kopf in ihre Hände und gab ihm einen zärtlichen Kuss.
Naso hielt die Augen geschlossen. Ihr zarter Atem… ihre Lippen schmeckten nach Rosenöl… wie konnte sie nur so gut riechen – und erst ihre Berührung…! Wohlige Schauer liefen über seinen ganzen Körper. Er war unfähig, sich wieder zu bewegen. Wie angewurzelt blieb er in derselben Pose stehen.
„Na komm weiter“, schob sie ihn lächelnd an. „Oder hat dir noch nie eine Inspiration einen Kuss gegeben?“



Die folgenden Wochen vergingen für Naso wie im Fluge. Als ob ihn eine rosarote Wolke eingehüllt hatte, dachte er nur noch an Corinna, lebte nur noch in diesem Gefühl und nahm nichts anderes mehr von der Außenwelt wahr. Ihre Treffen waren das Einzige, was in sein Bewusstsein drang. Nur ihr Zusammensein und seine Liebesdichtung über sie, wenn sie nicht bei ihm war: für, mit und über Corinna.
Sie besuchten zusammen Theatervorstellungen, schlenderten Arm in Arm über das Marsfeld, am Tiber entlang oder machten einen Einkaufsbummel durch die Via Sacra, die Foren und die Basiliken. Und sie besichtigten gemeinsam die großartigen Kunstwerke, mit denen Augustus die Stadt ausschmückte. Rom war wahrhaftig dabei, von einer Stadt aus Ziegeln, zu einer goldenen zu werden. Nur Corinnas Häuschen bekam Naso immer noch nicht zu Gesicht.
Erst als seine Geldbörse spürbar leichter wurde und Corinna Andeutungen auf Geschenke machte, begann ein leiser Zweifel an ihm zu nagen. Schlimmer quälte ihn jedoch eine andere Sorge: Warum durfte er sie nicht in ihrem Häuschen besuchen? Warum mussten sie sich immer erst verabreden? Gab es da etwa noch einen Anderen?
Doch schnell verscheuchte Naso diese Gedanken wieder. Nein, das konnte nicht sein – longe hoc omen abesto! Schließlich war sie doch SEINE Corinna, seine Muse, seine Inspiration, sein Leben. Nein er wollte sein Leben jetzt genießen, nicht zweifeln. Die erste große Liebe, der Gegenstand seiner Dichtung und seines Lebens, das durfte er sich doch nicht durch unnötig düstere Grübeleien selbst kaputt machen…



[Sulpicia lädt Naso zu sich ein und eröffnet ihm, dass er zu einem gemeinsamen Abend mit Carisius eingeladen ist. Dabei scheint sie sehr an Naso interessiert…]

Sulpicia lachte.
„Spürst du denn kein Begehren in dir?“
Naso schüttelte den Kopf.
„Mach dich nicht lächerlich! Jeder hat eines.“
„Was wäre denn deines?“
Sulpicia hielt den Kopf schief und machte für eine kurze Zeit ein ernstes Gesicht.
„Das Begehren an sich vielleicht […]“

[…]

Leise tapste der in den fünften Stock und zu seiner Kammer. So wenig achtete er auf seine Umgebung, dass er beinahe in einen grobschlächtigen Mann geschlurft wäre, der offenbar vor der Tür gewartet hatte. Nur der intensive Knoblauchgeruch, den der Muskelmann ausströmte, hatte ihn vor dem direkten Zusammenstoß bewahrt.
Naso sah kurz nach oben in ein halb zahnloses Lächeln unter einer platten, vermutlich schon mehrfach gebrochenen Nase, die gerade noch unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze heraussah. Unter einem tiefen Ausschnitt mit reichlich Brusthaar hielt der Riese die mächtigen Pranken verschränkt, die er jeweils in den anderen Ärmel seines dicken Mantels gesteckt hatte. Weiter unten zeichnete sich dennoch die gebogene Klinge einer sicca durch den Stoff ab, ein Dolch, der vorwiegend dazu benutzt wurde, um unglücklichen Opfern die Kehle aufzuschlitzen.
„Oh entschuldige, habe mich wohl in der Tür geirrt“, murmelte er unterwürfig und wollte schnell vorbeihuschen.
Doch der Riese verstellte ihm breitbeinig den Weg.
„Hmpfhumpumpfeh!“
Das kehlige Geräusch sollte wohl so etwas wie ein Lachen darstellen.
Naso machte auf der Stelle kehrt, doch noch bevor er auch nur einen Fuß weit kam, hatte der andere ihn bereits am Kragen gepackt, die Türe geöffnet und ihn hinein geschleudert.
Stöhnend rappelte er sich auf, während sich seine Augen mühsam an die Helligkeit gewöhnten.
[…]
[Nasos Vater sucht ihn auf. Erfolglos hat er versucht, Messalla von seiner Unterstützung abzubringen, doch auch bei seinem Sohn selbst kommt er nicht weiter. Er macht er sich bereits um die geistige Gesundheit seines Sohnes erste Sorgen…]

„Babae! Wie kann man sich denn mit einer literarischen Frau treffen?“
Ovidius erhob sich. Er wirkte etwas verstört.
„Ich weiß nicht, ob du dabei bist, völlig den Verstand zu verlieren, oder ob du nur wieder bockig bist… Ich muss jetzt leider wieder los.“
Er ließ sich vom Muskelprotz seinen Mantel reichen.
„Komm uns doch bitte demnächst in Sulmo besuchen, Sohn. Wir hätten noch eine Menge zu bereden. Hätte nicht gedacht, dass du solange brauchst… Aber eines nimm dir unbedingt zu Herzen, Sohn: Pass auf, dass du dich nicht in deinem ʺWerkʺ verlierst. Bei allem Hang zur Authentizität und schriftstellerischer Recherche – werde nur nicht dein eigenes lyrisches ich, dein eigener poeta–amator! Wenn ich eines nicht will, dann ist es, dass du dich in der Halbwelt herumtreibst, bis du eine gefunden hast, die deiner Corinna ähnlich sieht… Schlimm genug, dass du in solch einem Viertel wohnst…“
Der Leibwächter öffnete ihm die Tür, während Ovidius die Kapuze ins Gesicht zog. Dann drehte er sich noch ein letztes Mal um.
Er zog ein Wachstäfelchen hervor. Er musste es mechanisch eingesteckt haben. Achtlos warf er es auf Nasos Bettliege.
„Du kennst sie doch noch hoffentlich, die Grenzen zwischen dem was man tun könnte und dem was man tun darf? Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion?“
Damit verschwand er durch die Tür und in die Nacht.
Mit einem schiefen Grinsen betrachtete Naso das aufgeklappte Täfelchen.
Zärtlich streichelte über die das blutrote Wachs.
Es streckte ihm den Anfang eines Verses entgegen:
ʺEcce Corinna.ʺ

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