Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Mittwoch, 23. Januar 2013

2. Wasser. Leseprobe aus "Donner im Keltenland"

Hier folgt nun ein Auszug aus dem zweiten Kapitel von Rufus - Donner im Keltenland. Die eckige Klammer "[...]" zeigt eine Auslassung von einer oder mehreren Szenen. Wer die Leseprobe aus dem ersten Kapitel noch nicht kennt, klickt einfach auf diesen Link.
 
Ich freue mich über jede Anregung und jeden Kommentar!

Kapitel 2: Wasser

            Beim letzten Schlag gab die Tür nach und sprang auf. Durch die Türöffnung sah man einen Sturzregen niedergehen. Dunkle Wolken wetteiferten miteinander, möglichst viel Regen in möglichst kurzer Zeit über der Erde niedergehen zu lassen. Ein regenüberströmter großer Mann, in einen Pelzumhang gewickelt, drängte sich hindurch und schloss die Tür sofort wieder. Er sah aus wie ein großer Bär, den man in zu enge Kleider gesteckt und ins Wasser geworfen hatte. „Beim Teutates, Suarto, Sohn des Curmillo! Welch eine Freude dich zu sehen!“, begrüßte ihn Lellavo ebenfalls auf Keltisch, warf seine Leier zur Seite und lief ihm freudig entgegen. Suarto packte ihn, drückte ihn an sich und wirbelte ihn umher, wobei das Wasser seiner Kleidung in alle Richtungen spritzte. „Beim Esus, immer noch so leicht wie eine Feder, mein kleiner Hristo, Sohn des Staveno!“, lachte Suarto und ließ Lellavo endlich los, der taumelnd zu Boden sank.
            „Welcher Gott führt dich zu mir, altes Schlitzohr?“, fragte Lellavo, noch ganz außer Atem. „Esus natürlich. Ein Händler hofft immer auf Reichtum. Ich bin gerade mit meinem Händlerzug eingetroffen und kam sofort zu dir.“ Lellavo schnalzte mit der Zunge. „Sicher bringst du wieder Wein mit aus dem Süden….“ Suartos Miene hellte sich kurz auf: „Habe ich es jemals gewagt, ohne eine gute Amphore zu dir zu kommen?“ Darauf verfinsterte sich sein Antlitz wieder: „Leider bringe ich nicht nur Waren, sondern wieder schlechte Nachrichten aus dem Westen. Ariovistos hat sich jetzt endgültig bei den Sequanern am Rhenos festgesetzt.“ Erst jetzt schien er Euamellin zu bemerken, der immer noch fest auf der Truhe saß. Euamellin erhob sich höflich: „Ich grüße dich, Suarto, Sohn des Curmillo.“ Suarto kniff die Augen zusammen. „Sieh einmal an, der kleine Mann spricht Haeduisch! Hristo, hast du ihm das beigebracht?“ Lellavo nickte und zwirbelte stolz seinen Bart. Suarto betrachtete Euamellin interessiert und kratzte sich nachdenklich an seinem breiten Schädel. „Sag einmal, Hristo, der sieht dir aber verdammt ähnlich! Dazu bist du wohl stolz auf ihn und bringst ihm haeduisches Keltisch bei… Du hast doch nicht etwa…? Komm, lass dich umarmen, du bist Vater geworden!“ Und schon drückte er Lellavo wieder so fest an seinen Pelzmantel, dass dieser vorläufig nichts mehr erwidern konnte. Euamellin glaubte, dass er helfen und das Missverständnis aufklären müsse. Allein schon, damit Lellavo nicht erstickte. „Ich bin Euamellin, des Snevemin Sohn. Lellavo ist mein Onkel.“ Verdutzt hielt Suarto kurz inne, dann ließ er Lellavo los und brach in ein brüllendes Gelächter aus: „Bruhaha. Lellavo! Hahahah! Hristo, der Kleine nennt dich Lellavo! Bruhaha. Das mir dieser Spitzname nicht eingefallen ist, alter »Laberer«!“ Lellavo war seinem Neffen einen drohenden Blick zu, der bedeuten sollte »warte nur, bis der wieder weg ist - das klären wir noch«. Suarto schlug sich derweil vor Lachen auf die Schenkel, stolperte über den Löffel am Boden und fing sich ab, indem er sich auf dem kleinen Holztischchen niederließ. Zu klein für dessen Gewicht, denn der Tisch zerbarst krachend in seine Einzelteile. Suarto saß zwischen den geborstenen Holzbrettern auf seinem Hinterteil und machte ein dermaßen überraschtes Gesicht, dass auch Lellavo und Euamellin lachen mussten. Als sie versuchten, dem Gast aufzuhelfen, spannte Suarto jedoch kurz seine mächtigen Oberarme an, worauf alle drei lachend zu Boden purzelten. Suarto wischte sich das Wasser aus den Augen. „Wann habe ich zuletzt so gelacht? Bei allen Göttern, tut das gut, einmal wieder Tränen zu lachen. Der Weg hat sich schon gelohnt...“
            […] Euamellin fand seinen Vater am Flussufer. Er stand breitschultrig mit verschränkten Armen in Richtung Fluss und musterte seine Schwimmer. Seine langen Haare und sein Umhang wehten in der leichten Sommerbrise. Der Mantel zeigte die Farben der Sippe des Staveno, blau-rot gewürfelte Wolle mit cremefarbenen Fransen. Sein Schwert hatte er dagegen von seinem chattischen Vater Battavo. Neben ihm lehnte Haldavvo auf seinem Schwert. Dieser war nicht ganz so muskulös und groß, dafür ungefähr genauso alt wie Snevemin, noch nicht ganz Vierzig, und mit Snevemin sehr eng und lange befreundet. Ein starker Unterkiefer dominierte sein kantiges Gesicht. Haldavvo beherrschte weniger das Kämpfen als vielmehr die Kunst, berittene Krieger als gleichförmige Einheit zu lenken. „Gute Arbeit, ich glaube, sie sind soweit…“, murmelte er anerkennend. Snevemin nickte, ohne den Blick abzuwenden.
            Ein wenig abseits saß ein o-beiniger Mann mit mürrischer Miene im Sattel und grunzte nur abfällig: Henakian, des Friatto Sohn - er gehörte zu einer der einflussreichsten Adelsfamilie der Oberstadt und kümmerte sich darum, den Kampf zu Pferde zu lehren. Henakian war mindestens einen Kopf kleiner als Euamellins Vater. Der steigt wohl nur sehr nur ungern vom Pferd, wenn große Männer dabei sind, dachte Euamellin. Dafür ist er wieder gut herausgeputzt. Trotz der Hitze trug Henakian wie immer einen Helm, dazu einen Kettenpanzer mit silbernen Nieten und einen makellos gestutzten dunklen Schnurrbart. Sein Ross war reich geschmückt. Besonders beeindruckte Euamellin das mit Bronzenieten und Anhängern dekorierte lederne Zaumzeug: […] An der Kante zwischen Stirnriemen und Backenstück baumelte an jeder Seite ein Triskelen-Anhänger. Die Variante dieses keltische Symbols war ein Kennzeichen seiner Sippe: Ein symmetrisch angeordneter Dreierwirbel in einem Kreisring, der nach unten in drei Tropfen der Gischt einer Meereswoge zu zerfließen schien.
            „Was glotzt du denn da so blöde, du Bengel!“ herrschte Henakian Euamellin an und legte drohend seine Hand auf den Schwertgriff. Milmass, der Euamellin inzwischen wieder eingeholt hatte, fletschte die Zähne und knurrte. Haldavvo und Snevemin drehten sich langsam um. „Mein Sohn wollte sicher nicht respektlos erscheinen, Henakian, Sohn des Friatto. Fasse einfach seine Aufmerksamkeit dir gegenüber als Wertschätzung auf.“ Euamellin grüßte mit einer besonders tiefen Verbeugung. Haldavvo musste breit grinsen und wandte sich schnell Euamellin zu: „Man hat mir gesagt, dass du das Schwimmtraining für heute ausfallen lassen durftest. War dir denn so langweilig, das du trotzdem kommst, Sohn des Snevemin?“ Euamellin errötete. Damit das nicht auffiel, beugte er sich schnell zu seinem Hund hinab und kraulte ihm den Nacken. Er wusste, dass diese Anspielung auf Lellavo zielte, wollte aber vor Henakian nicht schlecht über seinen Onkel reden: „Nein im Gegenteil, es war sogar sehr aufregend. Onkel Hristo hat mich hervorragend unterhalten. Ich habe sogar einen Auftrag von ihm.“ Haldavvo runzelte die Stirn. „Ein Auftrag von deinem Onkel? Und du bist dir sicher, dass du nicht einfach nur schwimmen gehen wolltest?“ „Hmpf, lass ihn ausreden“, unterbrach ihn Henakian, „das interessiert mich. Hristo, des Staveno Sohn hat also einen Auftrag für uns?“, fragte er höhnisch nach. „Ja – oder nenne es eher eine Information oder eine Bitte, wenn du willst. Es gibt wichtige Neuigkeiten aus dem Westen. Ihr müsst den Rat zusammenrufen.“ Das wollten die drei Männer dann doch genauer wissen. Euamellin brauchte nicht lange, um das Wesentliche zu berichten. „Solange Ariovistos dafür Zeit hat, wird er sicher versuchen, seine fernen Verbündeten wieder stärker an sich zu binden“. kommentierte Snevemin. „Hristo hat Recht, wir müssen uns beraten. Ist er schon in der Oberstadt unterwegs, um den Rat zu versammeln?“ Euamellin nickte: „Du sollst die Chatten einladen, daran teilzunehmen.“ Snevemin streckte Henakian seinen rechten Arm zur Geste der Freundschaft entgegen „Edler Henakian, Sohn des Friatto, würdest du mich zu den Chatten in Ubiacum begleiten, als erhabenster Vertreter des ubischen Adels?“ Henakian grunzte zunächst zögerlich, konnte dann aber nicht umhin, sich geschmeichelt zu fühlen und nahm den Arm schließlich an, wobei sich die Hände um die Ellenbogen legten. „Gut, reiten wir.“
[…]
            Am nächsten Tag wurde Euamellin schneller wach als gewöhnlich. Als er prustend und nach Luft japsend in die Höhe schoss, erblickte er noch den Kessel, aus dem der kräftige Regenguss gekommen sein musste. Gehalten wurde er von zwei dicken Oberarmen, dahinter leuchteten ein paar flachsblonde Strähnen. Neben dem Kessel stand die drahtige Gestalt seines Freundes Sedavo, der sich fröhlich Wasserspritzer aus seinen hellbraunen Haaren schüttelte. „Deine Mutter hat gesagt, du hast auf ihr Zurufen nicht reagiert und wir dürfen dich so wecken, wie wir wollen“, erklärte Fiskja mit schelmischem Grinsen. Er stellte den Kessel ab und kam nun zur Gänze zwischen den Oberarmen zum Vorschein. „Ja, die Hauptsache wäre, du wachst auf“, ergänzte Sedavo. Der Schwall der mehrsprachigen Schimpfwörter, mit dem Euamellin nun seine Freunde übergoss, hätte jedem Kenner chattischer, ubischer, haeduischer und griechischer Sprache helles Vergnügen bereitet. Besonders die Kreativität, mit der er anstößige Wortbestandteile aneinanderreihte, trieb seinen Freunden Tränen der Freude in die Augen. „Schade, dass das niemand aufgeschrieben hat“, meinte Sedavo anerkennend, als der Schwall der Flüche abgeebbt war, „für Gespräche zwischen den Stämmen wäre das wärmstens zu empfehlen.“ „Wärmen, das wäre eine gute Idee!“ Euamellin schüttelte sich fröstelnd. „Warum habt ihr das Wasser nicht wenigstens vorher warm gemacht?“ „Verschwendung guten Feuerholzes“, meinte Fiskja trocken und reichte Euamellin ein Wolltuch. Von außerhalb des Zimmers näherten sich Schritte. „So schön habe ich ja schon lange niemand mehr aus dem Bett steigen sehen“, begrüßte ihn seine Schwester, die lachend um die Ecke kam. „Stimmt, das war wirklich eine gute Idee, Veleda!“, bedankte sich Fiskja artig. Veleda schwenkte schnell abwehrend ihre Zeigefinger übereinander und machte hastig ein paar Schritte rückwärts. „DU hast also….? Na warte, das bekommst du zurück!“  „Wehe, ich bin eine Seherin! An mir darf sich niemand vergreifen, weder Mann noch Frau, weder Kind noch König…!“ Doch sie hatte die letzten Worte kaum beendet, da hatte sich Euamellin bereits fest an seine Schwester gedrückt, um auch sie am kalten Wasser teilhaben zu lassen. „Du kleiner Frevler!“, kicherte sie, „Na, da werde ich mich wohl umziehen müssen“, und verschwand fröhlich im Gang, nachdem sie Euamellin noch einmal durchs nasse Haar gestrichen hatte. „Schön“ meinte Euamellin und schüttelte sich wie ein nasser Hund, „aber warum seid ihr überhaupt hier?“
            Seine Freunde ließen sich nicht lange bitten. Offenbar hatte man schon am frühen am Morgen die Beratungen wieder aufgenommen und folgenden Kompromiss getroffen: Vor endgültigen Entscheidungen sollten zuerst die Vertreter aller führenden Familien des gesamten Ubiergebietes tagen. Für den Fall, dass dabei ein Thing aller freien Ubier und mitsiedelnden Chatten beschlossen werden sollte, könnten die Stammeshäupter schnell bei der großen Einberufung mithelfen. Als Termin für das Treffen hatte man die Nacht des nächsten neuen Mondes festgesetzt. In alle Richtungen sollten Boten ausreiten, zu den anderen befestigten Höhensitzen - den Oppida, wie auch zu einzeln verstreut liegenden Dörfern und Höfen, wo die meisten Ubier wohnten. „Schön und gut“, unterbrach Euamellin, „aber ich sehe immer noch nicht, was ihr…“ „Die auszubildende Jungmannschaft soll als Übungsritt die Ubier am Rhenos benachrichtigen.“ berichtete Sedavo aufgeregt. „Ja, weißt du was das bedeutet? Wenn wir uns bewähren, können wir die Mannbarkeitsprüfung bestehen“, ergänzte Fiskja freudig. „Du kannst die nassen Sachen übrigens ruhig anbehalten. Wir sollen dich zur Schwimmprüfung in voller Montur abholen.“
            Euamellin fröstelte ein wenig in seinen nassen Kleidern, als sie zur Loneta hinabritten, aber das störte ihn nicht weiter. Eben so wenig, dass ihm sein Hund diesmal nicht folgen durfte. Dafür würde er nun zum ersten Mal wie ein Krieger gekleidet werden. Die Schwimm­prüfung entschied, wer den Übungsritt mitmachen durfte und wer nicht. Dazu musste man in voller Rüstung und Bewaffnung den Fluss einmal mit Pferd und einmal ohne schwimmend überqueren. Unten am Fluss war die Prüfung bereits in vollem Gange. Haldavvo, Snevemin und Henakian hatten sich hoch zu Ross am anderen Ufer aufgestellt. Mit Blick auf den alles überragenden Dünsberg musterten sie die Kandidaten mit unbeweglicher Miene. Der junge Sakjo stieg gerade unter dem Jubel der Gefolgsleute seiner Familie vom Pferd. Seine Stallknechte traten hinzu und nahmen unterwürfig Speer, Schild und Schwert entgegen und halfen ihm, das Kettenhemd abzulegen und die pitschnassen Kleider auszuziehen. „Na, kleiner Suebe“, rief er Euamellin zu, „auch schon wach?“ Damit konnte er Euamellin diesmal nicht aus der Ruhe bringen. Er sah über die Provokation kalt lächelnd hinweg. Schließlich hatte er seinem Vater etwas versprochen. Sakjo setzte nach und wies mit der ausgestreckten Handfläche auf die Schar der Jugendlichen, die nass und niedergeschlagen auf dem Boden kauerte. Offensichtlich hatte man sie bereits aus dem Wasser ziehen müssen. „Na, dann wollen wir mal sehen, ob du dafür nicht doch noch zu klein bist.“ Er fing an, hämisch zu lachen. Seine Gefährten machten mit und zeigten in gespielter Angst auf das Wasser.
            Euamellin ballte die Fäuste. Man konnte deutlich spüren, wie er zunehmend ärgerlich wurde. „Nur die Ruhe!“, mahnte Sedavo. „Spar dir deine Kräfte für die Prüfung.“ „Wenn der meint, dass ich mich so leicht verunsichern lasse, dann ist er noch dümmer als ich dachte!“ Doch als sie versuchten die Kettenhemden anzulegen, wurde Euamellin schon ein wenig mulmig. Bereits ein Schwert war sehr teuer, ein Kettenhemd jedoch selbst für manchen Adligen unerschwinglich. Nur wenige Jungen kannten sich folglich mit diesem Panzer aus Eisen- und Bronzeringen aus. Darüber hinaus hatte Snevemin die Order ausgegeben, dass ihnen weder Stallknechte noch Gefolgsleute beim Anlegen helfen dürften. Es war gar nicht so einfach, alleine zu Recht zu kommen. Da sie bisher noch kein Anrecht auf eigene Waffen hatten, lagen keine auf ihre Größe angepassten, fertig vernieteten Panzer bereit. Stattdessen hatte man schadhafte und rostig gewordene Rüstungen vorbereitet, die nicht ringsum geschlossen, sondern an der Seite offen waren. Die Jungen halfen sich gegenseitig, die provisorischen Kettenhemden an den Seiten und der Schulter festzustellen. „Schade“, murmelte Sedavo. „ich hätte lieber auch so ein schönes neues getragen, wie Henakian. Die rostigen Ringe kratzen. Man spürt sie selbst durch den Kittel hindurch!“ „Sei lieber froh, dass du nicht den Panzer von Henakian tragen musst“, winkte Euamellin ab, als er Sedavos Kettenhemd zu schließen versuchte. „Die fertigen Dinger wären selbst für mich viel zu groß gewesen. Schau mal, bei dir muss man ja gleich mehrere Schichten übereinander wickeln, bevor man die Lederriemen festzurren kann!“ Als Euamellin und Fiskja los ließen und Sedavo das ganze Gewicht allein zu spüren bekam, fiel er unversehens auf seinen Hintern. „Bei allen drei gavasinischen Muttergottheiten!“, stöhnte er, „Ist das Ding vielleicht schwer!“
            Schließlich hatten sie alle die Rüstungen angelegt. Dermaßen verpackt boten die Jungen zunächst einen etwas seltsamen Anblick. „Euamellin, du siehst ja aus wie eine Presswurst in der Pelle!“, spottete Fiskja. „Lach nur, du siehst auch nicht viel besser aus“, konterte Euamellin. Sedavo hielt den Blick verschämt zu Boden geheftet, als würde ihn das Gewicht immer weiter nach unten ziehen. „Schwerter, Lanzen und Schilde sind auch viel leichter zu hand­haben.“ „Kein Wunder, wozu hätten wir uns denn sonst lange zuvor im Kampftraining beweisen sollen.“ „Oh, schaut, was da bereit liegt!“ Mit glänzenden Augen hängte sich Fiskja ein richtiges Schwert um. Ehrfürchtig taten es die anderen ihm gleich. Der blanke Stahl fühlte sich kühl an. Ein erhebendes Gefühl! Niemand sagte mehr ein Wort. Keiner wagte es, die Erhabenheit des Augenblicks zu entweihen. Überaus stolz und mit erhobenem Haupt schritten sie zu ihren Pferden. So sahen zukünftige Krieger Ubiacums aus.
            „Euamellin, Sohn des Snevemin!“, donnerte die Stimme Haldavvos über das Ufer. „Tritt vor und beweise dich. Wähle nun.“ Sicher hinüber­zu­schwimmen hielt Euamellin für eine Kleinigkeit. Lieber zuerst den kom­pli­zierteren Teil hinter sich bringen. Also zuerst zu Pferde. Als er die Uferböschung hinabritt, betrachtete er überrascht die Fluten vor sich. Die bräunliche Farbe des Flusses und der gestiegene Pegel waren ihm vorhin noch gar nicht aufgefallen. Die Gewitter der vergangenen Tage mit ihren kräftigen Regengüssen hatte die Loneta unmittelbar danach nicht viel verändert. Nun aber schoss der Fluss gefährlich schnell dahin, angeschwollen von den Zuflüssen der Bäche aus den Mittelgebirgen. „Mögen dir alle drei amfrat­ninischen Muttergottheiten gewogen sein!“, wünschte ihm Sedavo Glück. „Na los, zeig es ihnen!“, feuerte ihn Fiskja an. Euamellin lenkte seinen Hengst kurzentschlossen in die Fluten und ließ seinen Kriegsschrei ertönen: Iiiii-Jajajah! Das Tier scheute zunächst ein wenig, gab dann dem sanften Druck von Euamellins Fersen nach. Vorsichtig trieb er sein Pferd an. Er durfte nicht zu langsam sein, um die Schwimmprüfung zu bestehen. Ein leises Wiehern zeigte ihm an, dass der Hengst keinen Grund mehr unter den Hufen hatte. Euamellin ließ sich mit einer Linksdrehung ins Wasser gleiten, wobei er mit seiner Rechten krampfhaft Speer und Schild festhielt. Die Strömung trieb ihn ein wenig ab, aber alles ging gut. Als er spürte wie das Tier auf Grund trat, zog er sich über die Mähne mühsam wieder in den Sattel. Triumphierend trabte er ans andere Ufer und grüßte ehrerbietig seinen Vater, Haldavvo und Henakian. Dann wendete er sein Pferd und stieg erneut in den Fluss.
            Geht ja besser als ich dachte, freute sich Euamellin auf dem Rückweg. Er suchte mit den Augen seine Freunde und versuchte, ihnen zuzuwinken, als er plötzlich so hart in die Rippen getroffen wurde, dass ihm die Luft wegblieb. Nur einen winzigen Moment lang war er unaufmerksam gewesen, doch das hatte gereicht, dass er die Mähne losließ und unter Wasser geriet. Jetzt keine Panik, war wohl nur ein Stück Treibholz. Zum Glück wurde er gegen die flussaufwärts gerichtete Flanke des Pferdes gedrückt und da er die Lanze senkrecht nach oben hielt, konnte er sich zunächst noch halten. Doch das Kettenhemd war zu schwer. Beim verzweifelten Versuch, wieder an die Oberfläche zu kommen, rutschte er dann doch unter seinem Pferd durch, stieß sich aber mit der Lanze auf dem Grund ab. Im letzten Moment bekam er seinen langen Sattelgurtbeschlag zu fassen, der auf der anderen Seite auf der Strömung tanzte. Irgendwie gelang es ihm mit allerletzten Kräften, sich gegen den Strom wieder direkt ans Pferd zu ziehen und die Mähne zu fassen. Euamellin prustete und spuckte. Er warf einen Blick auf seine gefühllos gewordene linke Hand: Schild und Speer waren noch immer vorhanden. Er hatte nicht losgelassen. Mit übermenschlicher Gewalt hievte er sich wieder in den Sattel. Am anderen Ufer stand Sedavo mit offenem Mund. Zuerst erschrocken und jetzt jubelnd, als es Euamellin wieder zurück geschafft hatte. Mit weichen Knien und zitterten Armen ließ sich Euamellin auf die Wiese gleiten.
            Doch noch war es nicht vorbei. Es fehlte noch die Schwimmprüfung ohne Pferd. Euamellin atmete tief durch und versuchte, wieder zu Kräften zu kommen. Sedavo beugte sich besorgt über ihn. „Euamellin, du bist ja völlig erschöpft! Das ist es nicht wert! Niemand wird schlecht über dich denken, wenn du jetzt aufgibst. Jeder hat gesehen, wie tapfer du gekämpft hast. Dein Ehre ist intakt, gib lieber auf und versuche es nächstes Jahr noch einmal!“ Da stieß ihn Euamellin wortlos zur Seite, packte die Waffen und stürmte mit einem letzten kehligen Schrei in den Fluss: Jaaa-ah! Das Gewicht des Kettenhemdes drohte mehrfach, ihn nach unten zu ziehen, aber er schaffte den Hinweg gerade noch so. Jetzt war er fast am Ende mit seinen Kräften, vor allem in den Armen. Was nun? Aufgeben kam für ihn nicht in Frage. Dann kam ihm eine Idee: Er legte sich vorsichtig selbst auf den Schild, so dass er ihm Auftrieb gab, setzte den Speer längs dazu und paddelte mit den Beinen wie hinter einem kleinen Kahn. Es gelang! Keuchend stieg er mit allerletzer Kraft und kreidebleichen Lippen aus dem Wasser. Völlig erschöpft, vollkommen durchnässt, aber überglücklich fiel er rücklings ins Gras.

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2 Kommentare:

  1. Das ist wirklich ein beeindruckender Blog mit viel Hintergrund- und Detailwissen der damaligen Zeit, wunderbar in einen packenden Abenteuer Roman verpackt.

    Ich hatte bisher gedacht, dass die Germanen nackt gekämpft haben, um ihre Verachtung für den Gegner zu demonstrieren. Die Prüfung der Jungs findet allerdings in voller Rüstung mit Kettenhemd, Panzer und so weiter statt. Ich wusste nicht, dass die Germanen solche Rüstungen hatten beziehungsweise verwendeten.
    Aber ich kenne mich mit der Kultur der Germanen nicht so aus. Gab es das überhaupt? Oder waren das vielleicht eher ritualisierte Kämpfe zum Beispiel aus kulturellen / religiösen Gründen, bei denen sie nackt waren?

    LG
    Roy

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    1. Mit der Todesverachtung nackiger Nordbarbaren sind Sie sich mit der älteren Forschung durchaus einig. Für die Plänkel-Einheiten der Berserker ist dies auch nicht von der Hand zu weisen, da ging es auch um religiösen Trance-Zustand und psychologische Kriegsführung (den Gegner schon zu Beginn oder noch davor mächtig zu beeindrucken, indem man völlig nackte und muskulöse Einzelkämpfer vor die vorderste Schlachtreihe treten lässt und prahlerisch zum Zweikampf herausfordert).
      Die meisten Germanen kämpften jedoch nicht nackt, auch wenn Eisen in Germanien seltener und teurer war. Bei Tacitus kann man lesen, dass der Verlust des Schildes so gravierend war, dass man aus dem Stamm verstoßen wurde, sollte man diese (obwohl billige) der Schutzwaffe der einfachen Krieger auf dem Schlachtfeld weggeworfen haben. Adlige oder reichere Germanen kennen durchaus Helme (z.B. Typ Vendel), Panzerhemden und Schwerter.
      Die Prüfungen, die hier beschrieben werden, beziehen sich auf die Crème de la Crème der angehenden Reiterkrieger der keltisierten Ubier (die Kelten gelten als "Erfinder" des Kettenhemdes). Wer hier dazugehören wollte, musste sich zuallererst einmal ein teures Pferd leisten können und die Waffen obendrein… Wer den finanziellen Spielrahmen hatte und die Ausbildung schaffte, der gehörte dann zur Elite antiker Reitereinheiten: Die Ubier waren berüchtigt für ihre Fähigkeit, kampfbereit und in voller Montur und Rüstung Flussüberquerungen durchführen zu können - sie und v.a. der Stamm der Bataver tauchen dazu noch immer wieder bei Kommando-Unternehmungen und als Kampfschwimmer in den antiken Quellen auf.
      Für die große Masse der Truppen folge ich einer neueren Theorie. Zwischen Kampf- und Alltagskleidung gab es bei den Kelten und Germanen offenbar gar keinen Unterschied, das Gros des Fußvolks hatte tatsächlich außer Schilden keine großartige Rüstung oder Wechselklamotten (weder mit dabei, noch zu Hause). Eine interessante Deutung aus der keltischen Archäologie vermutet nun, dass sich mancher Kelte die Kleidung auszog, um die kostbare Tracht nicht beschmutzen zu lassen – weder aus wilder Trance, noch aus Todesverachtung. Dennoch war Krieg und Kampf stark ritualisiert, mit vielen symbolischen Gesten und Handlungen aufgeladen.
      Interessanterweise investieren die Söldner der frühen Neuzeit (v.a. der Religionskriege) den größten Teil ihres Gehalts in die allerneuste und teuerste Kleidung, die sie finden können, um damit zu protzen, wie Jugendliche beim Posen vor der Disco oder beim Cruisen. Die tragen sie dann auch in der Schlacht (und nziehen sie nicht aus). Im Christentum kommt man wohl weniger auf die Idee, aus religiösen Gründen nackend zu kämpfen…

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