Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Freitag, 30. März 2018

XV. Kein ehrenwerter Beruf? Ewiger Ruhm durch die Liebe


Als Textprobe hier ein Auszug aus dem fünfzehnten Kapitel des ersten Bandes „Die Liebesleiden des jungen Ovids – Einzig Corinna" (hier geht es  zumersten, zweitendritten, vierten, →fünften, sechsten, siebten, achten  neuntenzehnten, elften,   zwölften, dreizehnten und vierzehnten Kapitel).
Über Anregungen und Kommentare würde ich mich freuen!
Quid mihi Livor edax, ignavos obicis annos ingeniique vocas carmen inertis opus
cb arma gravi ©: S. Gerlinger CC-BY 4.0




[… Sulpicia verspricht zu helfen, als Naso Vedius und Titus nicht loswerden kann. Ihr Eingreifen scheint tatsächlich erfolgreich – zumindest zunächst…]

Von Vedius war nichts mehr zu hören und Titus leistete seinen Frontdienst ohne weitere Briefe. Nach seiner Ankündigung, sie zurückzuerobern und seiner Prahlerei mit seinem Gehalt als Grenzkommandeur war Schluss. Wer wusste schon, ob er sein Jahreseinkommen von nunmehr fast hunderttausend Sesterzen nicht bereits anderweitig verprasste.
An einem Sommerabend des späten Septilis stieg Naso mit Corinna den Hand in Hand den Esquilin empor. Obwohl Corinna den Spaziergang wieder einmal zu einem kleinen Einkaufsbummel in der Via Sacra ausgedehnt hatte, war Naso guter Dinge. Er genoss die Wärme der zarten Hand Corinnas, die kühle Brise des Hügels und den Gesang der Vögel der Gärtchen links und rechts der Straße. Zufrieden sog er der die Gerüche ein, während sie sich Corinnas Häuschen näherten: Blumen, Sträucher und Essensdüfte - viel lieblicher als in der lebendigen Subura. Kein Wunder: Dies war eines der besseren Viertel des abendlichen Rom.
Tiefenentspannt erwartete Naso nichts anderes als einen weiteren gemütlichen Abend, alleine mit seiner geliebten Corinna.
Doch diese Mal sollte es nicht sein.
Irgendetwas war anders.
Bereits auf dem Weg fielen ihm beidseits die vielen Männer auf, weiter oben war kaum mehr die Mauer zu erkennen! Wie eine Armee drängte sich das Gefolge um Corinnas Wohnstatt.
Eine regelrechte Armee aus Männern und Sänften!
„Erwartest Du Gäste zum Essen?“, versuchte er zu scherzen.
Weiter oben schienen einige Männer eifrig in Täfelchen kritzelten und sich von Sklaven ihre Arbeit beleuchten zu lassen.
Weiter unten standen ein paar wenig sympathische Gestalten, ungepflegt, roh und mit wenig vertrauenserweckendem Gesichtsausdruck.
Die meisten verschränkten die Arme, ein paar lehnten müde an der Mauer
Eine Knoblauchfahne wehte bis zu ihnen empor.
„Nein, ich glaube, diese Herrschaften haben schon gespeist.“, flüsterte sie.
Auch Naso verfiel in einen Flüsterton: „Ob das etwa die flügellahme Haubenlerche Titus mit ein paar Untergebenen und all seinen Unteroffizieren ist, war, alle zu faul zum Laufen?“
Sie kicherte, doch Naso fuhr zusammen, als sie sich an einem grobschlächtigen Schläger vorbeidrückten.
„Brutus - der Riesenpapagei! Beim Hercules, das darf nicht wahr sein…“
Tatsächlich, da stand der Riese mit der Narbe, Titus Gefolgsmann, der ihn schon einmal in einen Sack gesteckt hatte.
Brutus schien ihn zu bemerken: Er schielte Nas schräg aus dem gesunden Auge heraus an und bedachte die beiden mit einem höhnischen Grinsen.
Nasos Kehle schnürte sich zu.
Er führte Corinna vorsichtig weiter und ließ Brutus nicht aus den Augen. Beinahe wäre er in eine der geparkten Sänften gerannt, wenn ihn Corinna nicht zur Seite gezogen hätte: Ein recht protziges Ding, dunkel gebeiztes Zitrusholz, feinstes grünes Tuch mit einem Glaspokal und einer Muräne darauf.
Vedius Pollio!
„Titus UND Pollio machen dir ihre Aufwartung? Was hat das nur zu bedeuten?“
Sie drückte ihm so fest die Hand, dass seine Knöcheln weiß hervortraten.
„Glaub mir, ich habe nicht die geringste Ahnung“, flüsterte sie tonlos.
Direkt am Eingang stand eine weiße Sänfte, bewacht von Liktoren mit Rutenbündeln.
„Mit welchen Beamten hattest du denn zuletzt zu tun? Ganz großes imperium, da stehen ja mindestens… zwölf Liktoren!?! Das müssen die Lentulli sein!“
Aber die Sänfte trug nicht das Wappen der Konsuln des Jahres und auch nicht des Kaiserhauses. Kein Anzeichen für Publius noch für Gnaeus Cornelius Lentulus und auch keines für einen Julius.
Sie war einfach nur weiß.
Die Männer beäugten Naso und Corinna misstrauisch, doch merkwürdigerweise machte keiner Anstalten, sie davon zu jagen.
Die Schläger verschränkten weiter ihre massigen Arme, die Sekretäre kritzelten weiter in ihre Täfelchen und schickten den einen oder andern Jungen davon – vermutlich als Boten.
Aber um Naso und Corinna wollte niemand das Wort richten.
Unschlüssig standen sie einen Moment vor der offenen Gartentüre, an der die Liktoren Spalier standen.
Syrus entdeckte sie und kam gelaufen.
„Nicht meine Schuld Herrin, immerhin ist er… ich meine, sie sind…“
„Was ist denn nun? Drück dich klar aus!“, herrschte sie ihn an.
„Sie warten im Triklinium, Herrin. Und er… er…“
„Beim Hercules!“
Corinna drängte sich an ihrem Türhüter vorbei.
Naso folgte ihr am plätschernden Brunnen vorbei nach drinnen.
Fasziniert betrachtete er ihre Wangen: »Was für ein hübsches Muster aus Weiß und Rot! Es steht ihr – und ganz ohne Schminke. Ob es der Ärger über Syrus ist oder ihre Angst?«
Als sie im Triklinium ankamen, erfasste Naso den Ernst der Lage. Nur zu gut kannte er die die zwei Gestalten, die ebenfalls mit verschränkten Armen vor den Liegen standen -  und die dritte, die sich entspannt auf der mittleren Liege räkelte und einen Apfel aß: Titus, Vedius und … Carisius. Seine Glatze leuchtete matt im Schein des Öllämpchens.
Titus stürzte sogleich mit ausgestreckten Armen auf Naso zu.
„Du… ich könnte dich…“
„Titus!“, pfiff ihn Carisius zurück. „Du weißt doch, was ER gesagt hat.“ Dabei blickte ehrfürchtig nach oben und legte den Apfel beiseite.
Titus blickte ärgerlich zu Boden.
„Patronus…“
Carisius lächelte nachsichtig, erhob sich und klopfte Titus väterlich auf die Schultern. Winzige Apfelbröckchen purzelten von Carisius‘ Fingern über Titus‘ Schulter nach unten.
Titus sah ihnen mürrisch hinterher und heftete den Blick auf den Boden.
„Kommt schon. Wie abgesprochen: Reicht euch die Hände!“
Titus ballte die Fäuste.
Dafür trat Vedius mit einem gequälten Lächeln hinzu und gab erst Titus, dann Naso die Hand.
„Titus, Naso…“
Kurz durchzuckte Naso der Gedanke, wie unverschämt gut dieser junge Vedius Pollio aussah. Die Eifersucht kroch in ihm hoch wie eine Schlange an einem jungen Ölbaum.
Vedius sah Corinna tief in die Augen und seufzte.
Dann winkte er und drehte mit einem kurz angebundenen „Vale!“ ab.
Sprachlos blickten ihm Corinna und Naso hinterher, als er mit federnden Schritten den Raum verließ.
Naso wusste nicht, was er davon halten sollte. War Vedius etwa aus dem Rennen? Hatte Carisius für seinen Klienten Titus seine Kontakte spielen lassen? Aber wie war das möglich? Vedius besaß viel näheren und unmittelbaren Kontakt zum Kaiserhaus. Schließlich war sein Vater ein Freund des Erhabenen persönlich! Und warum war Titus dann so sauer? Hatte man ihn über Nasos Verhältnis zu Corinna aufgeklärt? Musste er nun um sein Leben fürchten?
Titus verschränkte wieder seine Arme und blickte sauertöpfisch umher.
Naso und Corinna sahen sich zärtlich an.
Sie nickte.
Er auch.
Dann nahmen sie sich gleichzeitig bei der Hand. Sollte es ihr Schicksal sein, nun bestraft zu werden, dann wollten sie dies gemeinsam erdulden.
Titus betrachtete das Pärchen, als könne er alleine durch seine Blicke töten.
Carisius schien unruhig zu werden. Er legte sich seinen Mantel selbst um.
„So. Es ist Zeit.“
Ein Schauer lief Naso über den Rücken, doch es gelang ihm, stolz und aufrecht zu bleiben. Liebevoll nahm er Corinna in den Arm.
Titus schüttelte den Kopf.
„Dann hole ihn schon her, Deinen Brutus“, sagte Naso gelassen. „Wir sind bereit.“
Doch anstelle einer Antwort stieß Titus nur geräuschvoll Luft aus und nahm ebenfalls seinen Mantel.
„Ich hätte es merken müssen!“, murmelte er.
Er schüttelte noch einmal den Kopf, dann machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand ohne weiteres Wort.
Carisius nahm galant Corinnas Hand und verabschiedete sich formvollendet.
„Lebe wohl, Teuerste. Ich hoffe ich sehe euch beide bald wieder – auch wenn ihr mir viel Zeit und Nerven gekostet habt. Nein, Nerven nicht… Nerven eher dem armen Titus.“
Corinna kniff die Augenbrauen zusammen.
„Ich verstehe nicht ganz, Patronus…“
„Macht nichts. Dafür gibt es einen Besseren. Wenn er das selbst machen will - wer bin ich einem solchen Mann im Wege zu stehen... Valete!“
Auf einmal wirkte das kleine Triklinium wie leergefegt.
Sklaven schienen die Herrschaften nicht mitgebracht zu haben und auch Nape war nirgends zu entdecken.
Vorsichtig traten sie hinaus ins Freie.
Vedius, Titus und Carisius hatten den Garten bereits verlassen, doch die Gasse der Liktoren stand immer noch unbeweglich an Ort und Stelle: Einer neben dem anderen standen sie vom Garten bis zur weißen Sänfte und hielten ihre Rutenbündel auf den Boden gestützt.
Verständnislos starrte Naso sie an, Corinna noch immer im Arm.
Syrus schlich an Corinna heran und deutete zaghaft mit einem Finger nach oben, während er das Gesicht ängstlich abwandte.
„Da oben,“ flüsterte er, „in deinem Schlafgemach, Herrin!“



Vor Corinnas Schlafgemach stand Nape. Sie hielt einen Krug Wein, bereit sofort nachzuschenken.
Schüchtern nickte sie Corinna und Naso zu.
Auf dem Bett nebenan lag ein Mann, den Kopf angelehnt. Er las in einer Schriftrolle. Andere Rollen und Täfelchen lagen um ihn herum. In seiner Linken hielt er ein Weinglas, aus dem er hin und wieder nippte.
Sonst war niemand im Raum – kein Leibwächter und auch kein Sklave.
Naso schätzte den Mann auf Mitte Vierzig, kräftig und gut in Form. Er trug eine simple Tunika aus einfachem Stoff, keine Goldfäden und auch kein Purpursaum. Seine Frisur war etwas aus der Fassung geraten, vermutlich ein ehemaliger Militärschnitt mit leichtem Anklang an den Erhabenen: Er trug drei Strähnen als Gabeln in die Stirn gekämmt. Nichts deutete auf Macht oder Reichtum hin. Nur der goldene Siegelring um den Finger verwies auf den senatorischen Stand hin.
Seine willensstarken Augenbrauen über den tiefen Höhlen waren immer noch ganz auf die Schriftrolle geheftet. Die Nase war relativ dünn und verlief schnurgerade nach unten. Richtig geprügelt dürfte er sich nur selten haben. Seine Lippen waren nicht besonders breit aber voll und gaben ein amüsiertes Lächeln preis.
Irgendwoher kannte Naso den Kerl, wusste aber nicht mehr genau, wo er dieses Gesicht einordnen sollte.
„Du liest Sappho?“, brach Corinna das Schweigen.
Der Mann sah hinter dem Papyrus kurz auf.
„Das verwundert dich? Das tut es wirklich, tut es nicht?“
Er legte den Band zur Seite und wedelte mürrisch mit einem von Nasos Schreibtäfelchen.
„Eine ausgezeichnete Dichterin, keine Frage, in ansprechender Ausgabe... dein Freund hier ist mir ein wenig zu provokant und Gallus…“ Er fuhr sich finster mit dem Daumen über die Kehle.
Naso schluckte.
Der Mann zog eine Augenbraue nach oben.
„Hat Gaius etwa nicht die große damnatio memoriae verhängt? Hat er doch, hat er nicht?“
„Hat er! Hat er!“, krächzte Loquax.
„Ein kluger Vogel. Bist du doch, bist du nicht?“
Er stellte das Weinglas ab und trat vor, um den Papagei zu streicheln. Doch Loquax hakte mit seinem Schnabel nach ihm.
„Nur ein wenig zu bissig. Ganz wie seine Herrin – oder die Anspielungen ihres … amator auf meinen lieben Freund.“
Er setzte sich wieder.
Naso zog die Stirn in Falten. Corinna drückte fest seine Hand.
„Jedenfalls…“, fuhr der Mann fort, „sollte doch nirgends mehr auch nur der Name vorhanden sein, geschweige denn seine Bücher. Der gute alte Gallus…“
Naso und Corinna schwiegen.
Der Mann sprach tatsächlich vom Erhabenen, von Gaius Julius Caesar Augustus, und nannte ihn schlicht ʺGaiusʺ oder ʺseinen lieben Freundʺ.
Siedend heiß lief es Naso über den Rücken.
Er hatte den Mann wiedererkannt.
Es war niemand geringerer als Agrippa - Marcus Vipsanius Agrippa!
Der große Spender, Verwalter, Bauherr, Stadtverschönerer, Erneuerer der Wasserversorgung und Bezwinger der Kantabrer.
Der designierte Nachfolger des Erhabenen, dessen Tochter er zur Frau genommen und von der er gerade eine Tochter bekommen hatte – und einen Sohn, Gaius Caesar, der gleich nach seiner Geburt vom Erhabenen persönlich adoptiert worden war.
Der Inhaber sämtlicher Amtsgewalt –unbefristetes imperium für das gesamte Reich. Daher also die Liktoren…
„Entschuldige,“ murmelte Corinna blass, „daran habe ich nicht gedacht. Gib mir die Bände, ich lasse sie gleich beseitigen.“
Corinna streckte die Hand aus, doch Agrippa zog die Bücher zurück.
„Nein, zu spät. Ist es auch besser so? Ja, ist es. Ich habe wirklich schon geglaubt, ich werde ihn nie wieder lesen können. Habe ich wirklich, habe ich nicht? Wusstet ihr übrigens, dass wir Freunde waren? Ja, waren wir. Nicht so gute wie Gaius und ich, aber immerhin…“
„Marcus Vipsanius, ich will nicht neugierig sein, aber darf ich auch eine Frage stellen?“
Agrippa kniff die Auen zusammen, dann winkte er Corinna und Naso zu sich auf die Bettliege heran.
„Nur zu!“
„Was machst du in meinem Schlafgemach – verzeih, ich meinte, in dem Zimmer einer einfachen…“
Agrippa zog erst eine Augenbraue nach oben, dann beide zusammen.
„Beklagt ihr etwa einen Bruch der Etikette?“
Er erhob sich und verschränkte die Arme.
„Ihr habt mich reichlich warten lassen!“, begann er wie eine Strafpredigt gegenüber Kindern. „Verfügt dieses Haus über eine Bibliothek? Nein, tut es nicht. Brauche ich Hilfe, um mich an den Kantabrerkrieg und meine Unteroffiziere zu erinnern? Nein, brauche ich nicht. Weder Titus noch Carisius sind auf die Dauer wirklich… anregende Gesprächspartner. Vedius vielleicht, aber der ist mir noch etwas zu grün hinter den Ohren. Sich so Hals über Kopf an eine… Dame zu stürzen, die nicht seiner Position entspricht. So ist es doch, ist es nicht?“
Dann setzte er sich wieder.
„Verzeih, Marcus Vipsanius, woher sollten wir wissen, dass du persönlich…“, begann Corinna, doch Agrippa winkte ab.
Er setzte eine undurchdringliche Miene auf.
„Kommen wir zur Sache. Ich habe hier schon viel zu viel Zeit verloren – obwohl deine kleine Sammlung nicht uninteressant ist. Du hast Geschmack, hast du, hast du nicht?“
Corinna errötete und senkte schüchtern das Haupt.
„Nun… bis auf die Auswahl deines… amators vielleicht.“, fuhr Agrippa ungerührt fort.
Naso versuchte zu erkennen, ob Agrippa verärgert oder eher amüsiert war, drang aber nicht durch Agrippas beherrschtes Mienenspiel.
„Im Ernst, was du da schreibst kann ich nicht gutheißen!“, donnerte er auf einmal.
„Bin ich von deinen Versen beeindruckt? Ja, bin ich. Deine Distichen fließen wie keine anderen, das steht außer Frage. Darf mich der Inhalt erfreuen? Nein. Er wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Unverschämtheit!“
„Habe ich denn das Haus der Julier oder Agrippae angegriffen, edler Marcus Vipsanius?“
Agrippa presste unwirsch die Lippen aufeinander.
„Schon dein erstes Gedicht ist in gleichem Maße originell wie verstörend. Passt es zu den mores maiorum? Nichts könnte gegensätzlicher sein. Kann man es für staatstragende Literatur halten, wie sie gerade gern gesehen ist? Wohl kaum. Bereits dein zweites Gedicht könnte man fast schon als Kritik an der Genehmigung von Triumphzügen – oder gar als Angriff auf meine Familie und meinen Freund deuten!“
„Aber es geht doch nur um Liebe – wenn auch scherzhaft, das gebe ich zu…“
„…und in der Tradition des guten Gallus. Und überhaupt: Liebe als Lebensinhalt? Ruhm im Schlafgemacht anstatt im Felde? Wo sollen wir denn da hinkommen, beim Jupiter! Wenn das später einmal meine Kinder lesen, wer weiß, ob sie noch ihre zugedachte Rolle erfüllen wollen! Gaius soll ein Vorbild für Roms Männer sein, staubige Beute im Krieg jagen, solange sein Alter das hergibt! Er soll eine gute juristische Ausbildung bekommen, sich an ellenlangen Reden erfreuen können, auf dem Forum zuhören und das ganze Programm. Schließlich geht darum, den Ruhm Roms zu erhalten, nein zu vergrößern!“
„Hat Homeros nicht auch ein ganz Kleinwenig Ruhm erreicht?“
Agrippa hielt an seiner Miene fest, doch war Naso so, als müsse er um Beherrschung kämpfen.
„Bin ich überrascht von deiner Unverschämtheit? Nein. Ich kenne ja deine Gedichte. Du scheinst überhaupt nie etwas ernst zu nehmen, nicht einmal meine Anwesenheit heute.“
„Du kennst meine Dichtung? Und du hast genug Vergnügen daran gefunden, um weiter darin zu lesen? Dem großen Agrippa gefallen meine Verse…?“
Agrippa stand mit einem Ruck auf und starrte Naso in die Augen.
Er war einiges größer und muskulöser. Seine Erscheinung strahlte natürliche Autorität aus - und die Gewohnheit, sich gegenüber durchzusetzen.
Dennoch hielt Naso Agrippas Blick stand.
„Du hast weiter darin gelesen… und willst sie dennoch dem Erhabenen zur Zensur empfehlen?“
Agrippa wandte seinen Blick als erster ab.

[…]

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